Stadttambour 7-2004
NIEMAND WAR SCHON IMMER DA Vb.- Ferien zu Hause, warum nicht eine Stadtführung durch die Heimatstadt? Wir hörten von einer speziellen Führung immer dienstags und donnerstags um 20.00 Uhr, meldeten uns unter 076 367 94 94 an, und sassen an einem Donnerstag Abend auf einem Bänklein auf dem Leonhardskirchplatz. Wir warteten gespannt auf unseren Reiseführer Samuel Kestenholz, der eigentlich schon 1732 in Basel gehängt wurde, der aber keine Ruhe findet, und zur Strafe noch im 3. Jahrtausend mit wunderfitzigen Leuten die Stadt durchqueren muss. Schon steht er da, der „Schwarze Samuel“, in ledernen Kniehosen und Baumwollhemd, mit einer Handorgel auf dem Rücken und einem Messer in der Hand, mit dem er noch schnell seine Nägel säubert. Er pfeift vor sich hin, rotzt auf den Boden, dann begrüsst er die Wartenden. Er rät uns ab von einer Stadtführung mit einem Historiker, die vielen Jahreszahlen und Strassennamen seien doch furchtbar, und ausserdem käme dieser immer zu spät. Er hingegen, als Robin Hood von Oberwil, könne uns erzählen, wie der Daig zu seinem Geld und Christian Gross zu seiner Frisur gekommen sei. Er packt seine Handorgel spielt eine Melodie und zieht wie der Rattenfänger von Hameln voraus, und das ganze Reise-Grüppli zottelt brav hintendrein bis zum Spalentor, wo uns der Sämi vom Beginn des 30 jährigen Krieges anno 1618 erzählt, Basel hatte damals 10000 Einwohner und 1638 über 7500 Flüchtlinge, die in Basel Schutz suchten und durch das Spalentor wollten. „Kein Vieh? Kein Geld? Bitte draussen bleiben!“ „Volle Geldtaschen, gesunde Söhne für die Stadtverteidigung? Fette Gänse? Hereinspaziert!“ Zum ersten Mal an diesem Abend wurde uns klar, dass sich bis heute nicht viel verändert hat. Auf dem Petersplatz zeigt Samuel auf das Wildt`sche Haus und sagt: „Niemand war schon immer da!“ Peter Ochs, der die helvetische Verfassung geschrieben hat, kam aus Deutschland, ob de Bary, Miville, Sarasin, Vischer oder Bernoulli, die Schüsseln für den Basler Daig standen vorher in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Wir zotteln weiter über den Peterskirchplatz, in der Petersgasse bleibt Sämi vor der Oekk-Treppe stehen, und erzählt uns von Christian Friedrich Schönbein, der aus Deutschland an die Uni nach Basel kam, um hier Chemie und Physik zu unterrichten. Schönbein war der Entdecker der Schiessbaumwolle, Sämi führt uns deren Wirkung vor, und aus einem Büchsli schiesst eine Stichflamme. Schönbein entdeckte auch das Ozon. Sämi meint: „Aber das kümmert keinen hier, das Ozon kümmert eigentlich bis heute niemanden!“ Vor der Einwohnerkontrolle fragt er: „Wie kam der Spiegelhof zu seinem Namen? Ganz einfach: Hier stehen Menschen vor der Glastüre und fragen Spieglein, Spieglein an der Wand, darf ich noch ein bisschen bleiben in diesem Land?“ Weiter geht’s mit Handorgelklängen in Moll bis an den Blumenrain, und die Treppe hinunter bis vor das Birsigtunnel. Sämi schliesst das Tor auf, zündet eine Fackel an und verschwindet im Tunnel. Wir hören die Melodie „Bei mir bis du scheen“, und Sämi erzählt uns die Geschichte von den Mitgliedern der ersten jüdischen Gemeinde, die am 16. Januar 1349 auf einer Rheininsel am Ausfluss des Birsigs verbrannt wurden. Anno 2000 hatte Basel mit Ralph Lewin den ersten jüdischen Regierungsratspräsidenten. Die Tour geht weiter bis zur Martinskirche und endet am Rheinsprung. Samuel Kestenholz hat uns zum Lachen und ins Grübeln gebracht, und wir hatten an einem Abend die unterhaltsamsten und lehrreichsten Geschichtsstunden unseres Lebens. Diese Stadtführung war eigentlich nur für letztes Jahr gedacht, kein Wunder, musste sie des grossen Erfolgs wegen in diesem Jahr wieder aufgenommen werden. Sie ist in der heutigen Zeit wichtig, denn sie weckt Verständnis für alle Menschen, die in unserer Stadt Zuflucht suchen. Heute sind wir stolz auf Gelehrte, Humanisten, und Daigmitglieder, welche Museen stiften, vergessen aber dabei ganz, dass eben niemand schon immer da war.